(Wieder) Definition der "thermischen Sinnlichkeit": historischer Ansatz und zeitgenössische Herausforderungen von Olivier Jandot
Wir haben zwei Krisen: die erste ist ökologisch und strukturell. Die zweite ist energetischer und konjunktureller, weil sie mit der globalen geopolitischen Situation zusammenhängt. Sie hat dazu geführt, dass einige unserer Gewohnheiten in Frage gestellt wurden. Im Herbst und Winter 2022-2023 löste die Anordnung der Regierung, die Heiztemperatur um ein Grad zu senken, epidermale Reaktionen aus und regte intensive Debatten an. Diese regen uns dazu an, darüber nachzudenken, wie unsere Empfindlichkeit gegenüber Kälte und Hitze aufgebaut wurde. Denn der thermische Komfort ist keineswegs ein rein physiologischer Wert, sondern das Ergebnis einer historischen, kulturellen und sozialen Konstruktion, die sich aus der Verbindung mehrerer Faktoren ergibt. Wie hat sich die 20°-C-Norm vom Spätmittelalter bis zur Gegenwart nach und nach etabliert? Wie versuchen einige zeitgenössische Experimente, diese Norm zu hinterfragen und die "thermische Lust" (L. Heschong) neu zu definieren?
Olivier JANDOT (Historiker, Autor des Buches Die Freuden des Feuers. Mensch, Wärme und Kälte in der Moderne, Champ Vallon, 2017)